Fachvortrag Andrea Schramm, Geschäftsführerin der Kindervereinigung Gera e.V.

Kinder und Jugendtourismus

Vielen Dank für die Möglichkeit, wir danken heute ja doch in allen Beiträge, dass ich hier unsere Gedanken dazu darlegen kann. Wir wurden angefragt, etwas zur Entwicklung von Kinder- und Jugendreisen in Thüringen zu sagen, waren natürlich etwas erstaunt, aber ich fange einfach einmal damit an, dass ich Ihnen vorstelle, wo ich herkomme und was wir machen.

Ich bin die Geschäftsführerin der Kindervereinigung Gera e.V., diese wurde am 5. April 1990 in Gera gegründet, ist Mitglied im Dachverband Kinderinteressen Thüringen e.V. und seit 1991 anerkannter freier Träger der Kinder- und Jugendhilfe in Gera. Grundlage unserer Arbeit ist die Satzung unseres Vereins auf der UN-Konvention über die Rechte des Kindes. Wir haben uns ein fachliches Programm gegeben und jeder, der das möchte, um das nicht noch detaillierter darlegen zu müssen, kann das auf unserer Internetseite www.kindervereinigung-gera.de nachlesen. Die gesetzliche Grundlage unserer Arbeit liegt im SGB 8, im § 11 – das ist offene Kinder- und Jugendarbeit. Zur Kindervereinigung Gera gehören das Kinder- und Jugendzentrum „Bumerang“, der Jugendklub „Haltestelle“ in Bad Köstritz, der Jugendklub im Schloss in Ronneburg, die Schulklubs an der IGS und die zwölfte Regelschule in Gera, und an der Regelschule in Bad Köstritz ein Spielmobil, ein Stadtteilbüro mit dem Schwerpunkt Gemeinwesenarbeit, Bereiche mobile Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit im Kompetenzteam Nord des Landkreises Greiz, die Geschichtswerkstatt Lusan, in Gera in Kooperation mit der Gewo Gera, eine Keramikwerkstatt und zur Zeit auch eine externe Koordinierungsstelle zur Umsetzung des lokalen Aktionsplanes in Gera im Rahmen des Bundesprogramms Demokratie stärken, Toleranz fördern. Wir sind Praxisbetrieb für die private Fachschule für Wirtschaft und Soziales in Gera, bei der Ausbildung von Sozialassistenten, Heilerziehungspflegern und Erziehern. Wir sind Kooperationspartner für Beratungsdienste, Schulen, Vereine und Institutionen. Gemeinsam entwickeln wir vielfältige Projekte und Aktivitäten und führen sie z.B. mit dem Verein we4kids durch. Das ist ein Projekt – die Kinderwerkstatt in Gera, Ronneburg und Bad Köstritz. Davon werden Sie vielleicht in der nächsten Zeit noch etwas mehr hören, da sich dieser Partnerverein für „Thüringen sagt Ja zu Kindern“ beworben hat und, wie ich gehört habe, voraussichtlich auch in die engere Auswahl kommt. Wir sind Mitglied im Landesjugendring Thüringen, in der LAG Soziokultur und vielen anderen verschiedenen Gremien. Und, ich nehme an, das war der ausschlaggebende Punkt, warum ich eingeladen wurde, wir fahren seit mehr als 20 Jahren mit Kindern und Jugendlichen ins Ferienlager. In der Vorbereitung der Fachtagung habe ich mich mit der Bitte um Information an die anderen Mitgliedsverbände des Landesjugendrings Thüringens gewendet. Leider waren hier die Reaktionen eher gering. Ursachen sehe ich darin, dass Kinder- und Jugendreisen weniger als wirtschaftlicher Faktor in den Jugendverbänden gesehen werden, sondern entsprechend unserer gesetzlichen Grundlage des SGB 8 als Schwerpunkt der Jugendarbeit umgesetzt und als eine Methode unserer Arbeit verstanden wird. Deshalb werde ich mich hier heute auf unsere Erfahrung stützen und damit natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben.

Mit Beginn unserer Arbeit als Kindervereinigung e.V. Gera wurde uns bereits nach kurzer Zeit bewusst, dass die verortete Jugendarbeit nicht bedeutet, sich nachmittags zu treffen, sondern auch Höhepunkte zu schaffen, die Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit geben, sich als Gruppe zu verstehen und auch als Gruppe zu agieren. Dies lässt sich einfacher umsetzen, wenn sie aus ihrem gewohnten Umfeld herauskommen, gemeinsam neue Erfahrungen machen können. So begannen wir, mit Kindern und Jugendlichen zu verreisen. Wir nutzen vorhandene Möglichkeiten wie Touristenstationen, Schullandheime, Objekte, die auf Kinder und Jugendliche ausgerichtet waren. Dabei gab es für uns mehrere Kriterien, die wichtig waren bei der Auswahl der Objekte. Einmal mussten Kinder und Jugendliche willkommen sein, nicht als Störfaktor empfunden werden und das Umfeld musste uns vielfältige Möglichkeiten bieten, Bildungs- und Freizeitangebote miteinander zu verbinden, die vor allem für uns auch bezahlbar waren. Zunehmend fanden wir besonders unter finanziellen Aspekten Partner in Polen, Ungarn und Tschechien. So entwickelte sich in den Ferien das Angebot, mit uns zu verreisen. Vor ca. zehn bis zwölf Jahren wurde massiv an die Mitglieder der Jugendverbände und des Landesjugendringes aus der Tourismusbranche die Diskussion an uns herangetragen, dass sie nicht berechtigt wären, dies gewerbsmäßig zu tun und Fragen der Versicherung u.a. nicht bedient werden könnten.

Diese Diskussion überraschte uns damals schon, da wir in Kinder- und Jugendreisen keinen wirtschaftlichen Faktor sahen und es kaum Angebote gab, die ohne zusätzliche kommunale Landes-, Bundes- oder auch europäische Mittel finanzierbar waren. Diese Diskussion hat sich wieder gelegt und mit dem Geringerwerden der finanziellen Mittel der Kommunen, Städte, Länder und des Bundes ist natürlich auch der Umfang an diesen Angeboten zurückgegangen.

Kinder- und Jugenderholung ist vielschichtig und an besonderen Zielstellungen ausgerichtet. Prinzipiell ist sie aus unserer Sicht an pädagogischen Ansprüchen ausgerichtet. So gibt es unterschiedliche Formen. Dazu gehören die traditionellen Ferienlager, aber auch Kurzfreizeiten, internationale Kinder- und Jugendaustausche, Abenteuerfreizeiten, Städtepartnerschaften, Sportreisen, Trainingslager, Bildungsreisen und vieles mehr. Sie sind gekennzeichnet durch eine Zielgruppe, die hauptsächlich Mitglied in den Verbänden ist oder das Klientel der Einrichtungen ist, die diese Angebote organisieren. Die Träger der Freizeiten sind nicht nur durch den Willen der Nutzung des Angebots bekannt, sondern es gibt im Vorfeld und in der Nachbereitung verschiedenste Berührungspunkte. Die Betreuer, die Kinder und Jugendliche begleiten, sind ausgebildet, sind Pädagogen, Jugendgruppenleiter, Übungsleiter und Kindern wie Eltern bekannt. Es geht uns dabei darum, die Heimat kennen und lieben zu lernen, sich gemeinsam mit Spiel, Sport und Spaß zu erholen, andere Länder, Traditionen und Lebensweisen kennen und schätzen zu lernen, Geschichte in einer altersgerechten Form vermittelt zu bekommen, fern von Leistungsdruck und Zensuren, aus schwierigen familiären und schulischen Situationen für eine Zeit herauszukommen, unbeschwert Kind sein zu können, sich mit anderen auszutauschen, zu lernen, dass es andere Wege als Gewalt gibt, um Probleme zu lösen, sich in Gruppen einzubringen, Regeln zu lernen und sich auch daran zu halten. Sie sollen lernen, in der Gruppe Verantwortung zu übernehmen, ihre eigenen Grenzen, aber auch Potenziale zu erkennen und zu nutzen. Dabei machen wir keinen Unterschied zwischen Kindern und Jugendlichen, gleich welcher sozialen oder ethnischen Herkunft.

Als Kindervereinigung Gera haben wir in den Jahren 2001 bis 2005 in allen Ferienformen, die länger als eine Woche waren, bis zu neun solcher Angebote jährlich gemacht. Die Größenordnung war immer: 45 Kinder, vier Betreuer. Wir sind in der Regel von einer Woche bis maximal drei Wochen zusammen weggefahren. Wie bereits erwähnt, ging es zu Zielen in Deutschland und in den bereits benannten Ländern. Mit der Kürzung der kommunalen Mittel 2005 wurde uns die Möglichkeit der Finanzierung einer Stelle für die Koordinierung und zur Organisation solcher Angebote genommen. Seit dieser Zeit tauscht auch diese Form der Jugendarbeit nicht mehr in der Leistungsvereinbarung mit der Stadt Gera auf. Das heißt, die Stadt Gera kauft dieses Angebot für ihre Kinder nicht mehr ein. Weil diese Form des gemeinsamen Wegfahrens eine wichtige Methode in unserer Arbeit ist, führen wir diese noch durch, spaßig sagen wir immer, es ist unser Hobby. Seit nunmehr 17 Jahren fahren wir in den Sommerferien mit Kindern und Jugendlichen im Alter von sieben bis 18 Jahren an die Ostsee nach Trassenheide. Seit zwei Jahren sind im Sozialraum Nord durch unsere Kollegen noch ortsnahe Angebote dazugekommen, besondern für Chancen ärmere Kinder. Verändert hat sich dabei vieles, die Gruppenzahlen liegen in der Regel zwischen zwölf und 21 Teilnehmern, die Altersgrenzen haben sich erweitert. Kinder und Jugendliche fahren mit uns in der Regel zwischen zwei und sechs Jahren lang zusammen weg, das Alter liegt zwischen sieben und 18 Jahren. Zu jedem Ferienlager, das wir durchführen, gehört neben einem Elternabend der Freizeit an sich auch eine Nachbereitungsphase, in der wir in unterschiedlichster Form mit Kindern und Jugendlichen und deren Familien Kontakt aufnehmen. Das kann ein Nachbereitungstreffen sein in schriftlicher, telefonischer Form oder in persönlichen Gesprächen. Durch den langen Zeitraum lernen wir die Kinder und Jugendlichen, ihre Familien, ihre Probleme, ihre Entwicklung sehr gut kennen und sind zu festen Bezugspersonen geworden, z.T. werden wir auch in Familien adoptiert, denen wir bei Problemen helfen, die gelöst und über einen längeren Zeitraum begleitet werden.

50 Prozent unserer Kinder und Jugendlichen kommen aus Familien, die von Harz IV leben oder von einem alleinerziehenden Elternteil, 20 Prozent haben einen Migrationshintergrund. In der Gruppe selbst ist dies dann nicht spürbar, da wir gemeinsam die Regeln für den Umgang miteinander aufstellen und umsetzen und es keinerlei Ausschluss von gemeinsamen Aktivitäten aufgrund des sozialen Status oder fehlender finanzieller Mittel gibt. Unsere Empfehlung für das Taschengeld, wenn man mit uns ins Ferienlager fährt, liegt bei 30 Euro für elf Tage, an die sich die Eltern in der Regel halten. Für kleinere Kinder, die mit Geld noch nicht umgehen können, bieten wir an, einen Teil zu verwahren und entsprechend zuzuteilen, damit nicht das Taschengeld nach zwei Tagen alle ist. Das wird nicht im Geheimen gemacht, sondern mit Kindern und Eltern gemeinsam besprochen. Die Kinder wissen, wie viel Geld sie bei uns auf der Bank haben und wenn sie etwas abheben möchten, was sie jeder Zeit können, müssen sie mit uns darüber reden – wofür sie es ausgeben möchten, was manchmal für sie in der Begründung nicht ganz einfach ist, da sie es meist für Süßigkeiten, Cola o.ä. ausgeben möchten. Um Kindern aus Familien, die es sich eigentlich nicht leisten können, solche interessanten und sorgenfreien Tage zu ermöglichen, sind wir jedes Jahr auf der Suche nach Sponsoren, Stiftungen, Programmen, über die wir diese Familien mit einer Ermäßigung unkompliziert unterstützen können. Dazu reichen uns in der Regel zwischen 1.000 und 2.000 Euro pro Ferienlager aus. Für die Restsumme bieten wie den Familien Ratenzahlung an, die mit ihnen und ihren Möglichkeiten abgestimmt werden. Manchmal sind die Raten so klein, dass die Finanzierung bis zum nächsten Ferienlager geht. Dafür gehen wir als Verein in Vorfinanzierung und es ist bisher nur einmal passiert, dass die Raten nicht vollständig abgezahlt wurden. Unserem Verständnis nach ist unser Ferienlager ein soziales Netzwerk, das auch durch das Solidarprinzip funktioniert. Es ist schade, dass das Teilhabepaket eine Unterstützung für solche Kinder- und Jugenderholungsmaßnahmen nicht vorsieht. Positiv ist aus unserer Sicht, dass trotzdem die Nachfrage von sozial benachteiligten Familien nach diesen Angeboten für ihre Kinder steigt und sie bereit sind, ihren Anteil dazu beizutragen.

Ich erkläre das so ausführlich, um aus unserer Sicht den Unterschied zum Tourismus deutlich zu machen. Unsere Verbindung zum Tourismus besteht darin, dass wir touristische Angebote nutzen, auch wenn wir zunehmend mit spitzerem Stift rechnen müssen. Positiv ist aus unserer Sicht auch, dass in den letzten Jahren zunehmend fachliche, auf Kinder und Jugendliche zugeschnittene Angebote im Tourismus entwickelt wurden sind, die auch als Pakete durch uns genutzt werden können – wobei man über Preisfragen doch noch einmal nachdenken sollte, aus der Sicht dessen, was ich Ihnen gerade geschildert habe. Schade ist, dass man ganz schön suchen muss, um die entsprechenden Angebote zu finden. Schön wäre es im Zeitalter der Neuen Medien, wenn hier stärker eine Vernetzung von Informationen gerade auch für unsere Zielgruppe vorhanden wäre. Vielleicht wäre das ja auch noch einmal eine Anregung, die man mitnehmen könnte. Natürlich wäre es für uns jetzt einfacher, hier zu sagen, wir fordern für unseren Bereich der Arbeit mehr Geld. Aber ich glaube, mit der Diskussion brauchen wir heute gar nicht anzufangen und darum geht es uns in erster Linie auch nicht. Für uns ist es wichtig, eine Lobby, auch für die Angebote der Kinder- und Jugenderholung, zu finden, die ein Schwerpunkt der Kinder- und Jugendarbeit ist. Diese Angebote sind keine freiwilligen Angebote, wie oft diskutiert wird, sondern sie sind gesetzlich verankert, wenn auch nicht mit einer Pro-Kopf-Größe besetzt. Uns wäre es wichtig, dies auch in den Zeiten der knappen Kassen in die Kommunen zu transportieren. Dies hilft uns, dass wir uns nicht ständig dafür rechtfertigen müssen, dass wir mit Kindern und Jugendlichen verreisen. Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit.