Bedeutung von Bahn und ÖPNV für die touristische Erschließung ländlicher Räume

Ralf Kalich, Mdl, Bürgermeister Blankenstein

Mein sehr verehrten Damen und Herren. Ich bedanke mich erst einmal für die Einladung. Es ist ja nicht allzu oft, dass man eine Einladung als Bürgermeister einer 850 Seelengemeinde erhält, um über Probleme zu berichten, die man dort so zu bewältigen hat. Die Rennsteiggemeinde Blankenstein hat seit 1999 36,4 Prozent ihrer Einwohner verloren. Man könnte sagen, wir rechnen mal aus, bis wir den Laden zu machen und dann ist Feierabend, aber ganz so einfach ist die Geschichte nicht. Regional betrachten kann man das Problem Höllentalbahn bzw. Blankenstein überhaupt nicht, denn letztendlich sind wir das Bindeglied zwischen der Rennsteigregion im Saale Orla-Kreis und der Stauseeregion und das soll als touristische Attraktion nicht nur entwickelt werden, sondern als Premiumregion herausgebildet werden. In Blankenstein gibt es vier Premiumwanderwege, die ihren Ausgangs- bzw. Endpunkt dort haben: der bekannteste deutsche Wanderweg Rennsteig, der von ca. 9 Prozent der Deutschen gekannt wird, dazu gesellt sich der Kammweg nach Sachsen, der Frankenweg und der Fränkische Gebirgsweg. In der Vergangenheit wurden ca. 320.000 Euro in die Umgestaltung einer Industriebrache als Drehkreuz des Wanderns investiert und dort steht der größte bespielbare Wanderschuh Deutschlands mit einer Schuhgröße von 900. Dazu kommen 30 regionale Wanderwege, es gibt die Möglichkeit, mit Kanu zu wandern. Dazu kommt der Saaleradwanderweg, der unterdessen stark angenommen wird. Wir haben wesentlich mehr Rad- als Fußtouristen. Wir sind stolz, dass wir uns ganz offensiv auf 20.000 Tagestouristen, Wanderer, Radfahrer, Kanutouristen zubewegen und das denke ich, ist eine stattliche Zahl. Allerdings ist Blankenstein auch ein Industriestandort, wir reden dort über die Produktion von ca. 320.000 Tonnen Zellstoff. Es kann nur eine Kombination von Tourismus und Industrie geben. Ohne Industrie keine Infrastruktur, ohne Infrastruktur wiederum kein Tourismus.

Wenn wir uns jetzt dem Tourismus zuwenden, dann bin ich nah bei Bodo mit dem ICE. Mit dem ICE von Erfurt nach Nürnberg, allerdings muss ich immer feststellen, wenn ich in Erfurt nicht ausgestiegen bin, bin ich ganz fix in Bayern. Da hab ich gar keine Möglichkeit mehr, aus dem Zug noch rauszukommen. Saalfeld wird letztendlich in der Perspektive früher oder später vom ICE abgekoppelt. Wenn ich mir also die touristische Situation ansehe und ich entscheide mich als bewusster Urlauber für den Rennsteig, fahre nach Hirschel mit dem Zug, steige dort aus und beginne eine romantische Wanderung über fünf oder sechs Tage, wandere über den Inselsberg, Oberhof, Neuhaus am Rennweg, über das Stück Oberfranken nach Blankenstein und nehme mir dort in der Zeit, in der ich die letzte Etappe laufe, vielleicht noch die Möglichkeit, das ein oder andere Highlight mir anzusehen, einen über 400 Jahre alten Apfelbaum usw. und komme dann an und habe mich etwas verbummelt. Dann habe ich um 17:40 Uhr die letzte Möglichkeit, mit dem Zug nach Hirschel zurückzufahren. Warum sage ich das? 17:40 Uhr losfahren, heißt 22:49 in Hirschel ankommen, das sind fünf Stunden Fahrzeit. Viele Touristen unterdessen fahren mit dem Auto zu einem Ziel, weil der ÖPNV nicht in der Lage ist, die Leute dorthin zu transportieren, wo sie letztendlich auch starten wollen. Aber die Möglichkeit, zumindest zum Startpunkt wieder zurückzukommen, ist eine erhebliche Geschichte, die organisiert und abgestimmt werden muss. Wenn ich noch etwas später komme, fahre ich 19:40 Uhr zurück und habe nach 9 Stunden früh 4:48 Uhr Hirschel erreicht. Ich gebe zu bedenken, die schnellst Staffel beim Rennsteigstaffellauf liegt bei 9 ½ Stunden. In Anbetracht der Tatsache, dass Sie nun festgestellt haben, dass das ein ziemlicher Aufwand ist und ich mir die ganze Nacht um die Ohren schlage, entschließe ich mich, in Blankenstein ein Zimmer zu nehmen, um doch noch ein oder zwei Tage anzuhängen. Und dann kommt die Frage, mit der ich begonnen habe. Ich nutze die Zeit, um das Bindeglied zwischen Rennsteigregion und Stauseeregion zu erleben. Ich setze mich also am Wochenende um 11:20 Uhr in Bad Lobenstein in den Bus, dort komme ich problemlos von Blankenstein mit dem öffentlichen Nahverkehr hin und bin um 11:39 in Saalbrock. Da kann ich das ein oder andere unternehmen, stelle aber dann fest, dass ich gar nicht mehr zurückkomme. Jetzt habe ich ein Zimmer in Blankenstein, komme aber nicht wieder zurück. Was ich damit sagen möchte: Wir haben einen Anspruch, eine Region touristisch zu entwickeln. Wir stehen aber bei der touristischen Entwicklung in Fragen des öffentlichen Nahverkehrs mit Kinderschuhen da, die uns nicht passen und richtig drücken, wenn man läuft. Wir haben einen massiven Anspruch, im Nahverkehr etwas zu tun. Nach Hof bspw. kommt man überhaupt nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln, das tendiert am Wochenende gen Null. Von Blankenstein fahren am Wochenende nur Züge.

Jetzt habe ich mir die Mühe gemacht, wie lange wir uns um die Aktivierung der Höllentalbahn kümmern wollen. Ich habe einen Ausschnitt aus der OTZ, 20.11.2001 - wir haben es nicht geschafft, nach der Wende die gekappten Strecken zwischen Niedersachsen, Hessen und Bayern wenigstens in der Form wiederherzustellen, wie sie 1945 nach Ende des Zweiten Weltkriegs unterbrochen worden sind. Da habe ich einen interessanten Artikel gefunden "Auf der Bahnstrecke nach Saalfeld rollen wieder Züge". Seit 1999 hatte die Deutsche Bahn 30 Millionen Mark investiert, um die Strecke auch für Gütertransporte zu reaktivieren bzw. auf 60 Tonnen Achslast auszubauen. Nun war ich gestern in meinem Großunternehmen, beim Geschäftsführer Leonhard Nossol. Er ist ein Vertreter der Wiederaktivierung der Höllentalbahn und der sagte mir, stell dich mal darauf ein, nächstes Jahr baut die Bahn. Sie bauen die Strecke nach Saalfeld. Ich sagte, dass die doch vollkommen in Ordnung ist. Er sagte mir, die Bahn muss wieder in die Strecke investieren, um die 60 Tonnen Achslast zu halten und es wird über mehrere Wochen zu Vollsperrungen kommen. Das bedeutet, dass wir locker die Zahl von 150.000 LKWs knacken werden. Letztendlich heißt das, die Aussage, die die Bahn bei vielen Diskussionsrunden und Verkehrskonferenzen getroffen hat, dass die Strecke von Blankenstein nach Saalfeld nicht ausgelastet ist, letztendlich zumindest wackelt.

Es gibt inzwischen sehr vernünftige Untersuchungen der Höllennetz-Initiative über den Personentransport, der von Rudolstadt nach Blankenstein berechnet wird, und die weisen eine wirklich gute Auslastung dieser Strecke nach. Nun haben wir uns den Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD angesehen und dort stand die Reaktivierung der Höllentalbahn drin. Eine kleine Anfrage von mir vor ein paar Wochen im Thüringer Landtag hat letztendlich ergeben, dass es keinen Kontakt zwischen der Landesregierung in Thüringen und Bayern gibt. Es gibt auch keinen Antrag der Bayern zur Aufnahme der Höllentalbahn in der Bundeswegeplan, von thüringischer Seite ist ebenfalls keinerlei Aktivität in der Richtung vorangetrieben worden. Wir haben einen Zustand, den mir ältere Menschen beschrieben haben, der den 8. Mai 1945 nicht überschritten hat. Ich glaube, irgendwann im April ist der letzte Personenzug gefahren, die letzten Gleise sind auf der bayerischen Seite 1971 abgebaut worden. Ich bin recht dankbar, dass meine Kollegin Dr. Gudrun Lukin mit Mitarbeitern zusammen einen druckfrischen Flyer erarbeitet hat. Hier sind eine ganze Reihe von Bahnen aufgeführt, die wir unbedingt brauchen für den öffentlichen Nahverkehr, auch in Verknüpfung mit der Industrie. Unterdessen gibt es eine Initiative, eine Broschüre zu erarbeiten und wir sind gern bereit, mit allen Initiativen hier zusammenzuarbeiten - unabhängig davon, ob sie nun in Bayern, Niedersachsen, Hessen oder Thüringen angesiedelt sind, um sich Gedanken über die Reaktivierung von Bahnstrecken zu machen. Ich bin froh, dass sich viele Engagierte finden, die uns in unseren Forderungen und der Notwendigkeit wirklich unterstützen. Ich kann nur hoffen, dass 2014 der Auftakt wird - im nächsten Jahr begehen wir 25 Jahre offene Grenzen mit einer Grenzlandwanderung in Zusammenarbeit mit dem Sportbund und vielen anderen Trägern - dass wir wirklich die deutsche Teilung auch in der Infrastruktur auf der Schiene überwinden und langsam an den Punkt kommen, dass über die Straße nicht alles zu handeln ist. Ich danke für die Aufmerksamkeit.

Feedback und Fragen zum Fachvortrag:

Knut Korschewsky: Kannst Du ein bisschen was sagen zur weiteren Entwicklung von Blankenstein, wie das in den letzten Jahren von statten gegangen ist und wie die Zusammenarbeit mit dem Regionalverbund Thüringer Wald war?

Ralf Kalich: Das war ein Prozess, der sich über 22 Jahre hingezogen hat. Alle meine Vorgänger, einschließlich aller Gemeinderäte, die in politischer Verantwortung waren seit dem Jahr 1999, haben sich dies auf die Fahnen geschrieben. Letztendlich haben wir den Charakter unseres Dorfes völlig verloren gehabt, durch das Wachsen der Industrie dann noch mehr und wir konnten nur über die Jahre immer wieder mit kleinen Schritten diesen Platz wieder zum Ortsmittelpunkt machen. Das hat sich hingezogen mit Projekten wie Parkplatzbau, es ging dann weiter, einen Wanderstützpunkt zu bauen mit einer Touristikinformation, Ausstellungsbereich und gastronomischer Versorgung und gipfelte im Abriss einer Industriebrache, die für 425.000 Euro abgerissen wurde. Mit der Investition von Ärzten, mit dem Bau eines Ärztehauses mit drei Ärzten wurde eine medizinische Grundversorgung geschaffen für die gesamte Region. Mit dem Regionalverbund haben wir mit insgesamt 380.000 Euro bis zum 20. Mai im letzten Jahr diesen Platz völlig umgestaltet und zum Drehkreuz des Wanderns ausgebaut. Man kann es auf der Homepage unter www.blankenstein-am-rennsteig.de ansehen und ich kann nur jeden einladen, hier hin zu kommen und sich an dieser Stelle, die das Drehkreuz darstellt mit Kammweg, Rennsteig usw., zu informieren. Wir freuen uns über jeden Gast, der nach Blankenstein kommt und vor allem über jeden, der mit neuen Ideen kommt. Wir haben selbst noch eine ganze Reihe von Ideen - solange Industrie, Infrastruktur mitmachen und Gewerbesteuer fließt. Wir sind nicht nur dabei, diesen Platz allein weiter zu entwickeln, sondern ich freue mich, dass wir die Fördermittel haben, um den Saaleradwanderweg weiter bauen zu können.

Knut Korschewsky: Letzte Frage, vielleicht so ein bisschen sarkastisch: Was ist da dran, als Ramsauer da noch in der Gegend gewohnt hat auf der bayerischen Seite, dass er durchaus zum damaligen Zeitpunkt dafür war, dass die Höllentalbahn wieder aktiviert wird?

Ralf Kalich: Die, die bei uns gewohnt haben, die waren immer dafür - unser Innenminister auch, den habe ich gehört mit großen Sprüchen auf einer Verkehrskonferenz, da war er noch kein Innenminister und ich weiß nicht, ob er sich unterdessen noch daran erinnert, dass er mal ganz vehement die Höllentalbahn gefordert hat. Wir sagen immer aus Spaß, normalerweise müsste in Bayern irgendwo mal ein Staatssekretär aus unserer Region kommen, der vielleicht ein bisschen einen Draht zu der Angelegenheit hat. Wenn sie zu hoch in den Verantwortlichkeiten steigen, vergessen sie sehr schnell, wo sie herkommen, aber so ein Staatssekretär wäre schon mal ganz gut, der sich dann auf Landesebene für so was einsetzt.