Koalitionsvertrag

12. Innen- und Rechtspolitik

  • 12.1 Konsequenzen aus den Verbrechen des NSU und dem Versagen der Sicherheitsbehörden

     

    Die Koalition ist sich einig darin, dass die erschreckenden Morde, Anschläge und Raubüberfälle des neonazistischen Terrornetzwerkes NSU, das sein Wurzeln in Thüringen hatte, politische Konsequenzen haben müssen.

    Aufgrund der besonderen Verantwortung des Freistaates Thüringen für die Entstehung des Terrornetzwerkes und der Fehler bei der Fahndung ist die Umsetzung der Folgerungen aus dem NSU-Untersuchungsausschuss Aufgabe der gesamten Landesregierung und Querschnittsaufgabe aller Behörden.

    Die Präambel des Abschlussberichtes des Thüringer Untersuchungsausschusses macht sich die Koalition zu eigen:

    „Auch künftig gilt unser gemeinsames Engagement der Bekämpfung des Rassismus und der Zurückdrängung der extremen Rechten in allen Formen. Wir hoffen auf eine baldige gerechte und konsequente, rechtsstaatsgemäße Verurteilung aller Täter und aller weiteren Personen, die auf verschiedene Weise wissentlich und willentlich zu den Taten des NSU beigetragen oder sie schuldhaft ermöglicht und sich der Beihilfe, der Begünstigung und – womöglich – der Strafvereitelung schuldig gemacht haben. Wir setzen uns dafür ein, dass auch künftig im Freistaat Thüringen alle Anstrengungen unternommen werden, um die Verbrechen des NSU und die Tatbeiträge ihrer Unterstützer aufzuklären, und dass diese Aufklärung nicht vor der Verantwortung von Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden halt macht.“

    Umbau der Sicherheitsarchitektur

    Die Koalition vereinbart eine grundsätzliche Revision und Neuausrichtung der Sicherheitsarchitektur im Freistaat Thüringen, um in dieser Form Konsequenzen aus dem umfassenden Behördenversagen zu ziehen. Dabei gehören neben dem Landesamt für Verfassungsschutz das Landeskriminalamt, die Thüringer Polizei, die Justiz und die jeweiligen Aufsichtsbehörden auf den Prüfstand. Zwischen den Koalitionspartnern besteht dabei Übereinstimmung, dass insbesondere in den Bereichen Polizei und Justiz eine konsequente Umsetzung der Ergebnisse und Empfehlungen des Untersuchungsausschusses „Rechtsterrorismus und Behördenhandeln“ erfolgen soll. Diese finden in den jeweiligen thematischen Abschnitten dieses Koalitionsvertrages ihre konkrete Ausgestaltung.

    Enquetekommission im Landtag

    Wir wollen im Rahmen einer Enquete-Kommission des Landtages in einen institutionalisierten Dialog mit Experten und Expertinnen und zivilgesellschaftlichen Akteuren treten, um Konzepte für eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Rassismus und Diskriminierung zu analysieren. In einem zweiten Schritt sollen Konzepte für eine gesellschaftliche Auseinandersetzung erarbeitet werden, die u.a. der schulischen und außerschulischen Bildung, Weiterbildung für Lehrerinnen und Lehrer, Erwachsenenbildung und Weiterbildung für Landesbedienstete dienen sollen. Die Kommission soll zügig nach Neukonstituierung des Thüringer Landtages eingerichtet werden und ihre Vorschläge so vorlegen, dass diese noch im Laufe der Legislaturperiode implementiert werden können.

    Fortsetzung des Untersuchungsausschusses im Landtag

    Weil Thüringen in einer besonderen Verantwortung steht, weiter an der Aufarbeitung der nicht vollständig aufgeklärten Verbrechen des Terrornetzwerkes NSU mitzuwirken, will die Koalition im Landtag dafür Sorge tragen, dass fraktionsübergreifend die parlamentarische Untersuchung weiter fortgeführt und die Erkenntnisse aus den Untersuchungsausschüssen und der Aufklärung öffentlich zugänglich gemacht werden. Der Maßstab unserer Arbeit richtet sich dabei auch nach dem Wunsch der Betroffenen und Opferangehörigen auf restlose Aufklärung.

    Überprüfung der Regelungen und Verwaltungsabläufe in Thüringen

    Die Koalition wird alle gesetzlichen, untergesetzlichen Regelungen und Verwaltungsabläufe in Verantwortung der Landesregierung auf diskriminierende Regelungen prüfen und so ändern, dass sie diskriminierungsfrei sind.

    Konsequentes Vorgehen gegen rechtsextreme Organisationen

    Der extremen Rechten soll nicht nur mit Präventionsangeboten sondern auch mit einem konsequenten repressiven Vorgehen begegnet werden. Dabei sollen rechtlich zulässige und geeignete Mittel, bis hin zu möglichen Verboten rechtsextremer Organisationen, ausgeschöpft werden. Die Koalition spricht sich dafür aus, die zentrale Bekämpfung rechtsextremer Straftaten in Thüringen dauerhaft zu sichern.

    Schlussfolgerungen für die Polizei

    Die Ergebnisse und Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses sind insbesondere in der Thüringer Polizei konsequent umzusetzen. Die bisherigen Aus- und Fortbildungsinhalte sind dahingehend zu evaluieren, gegebenenfalls Lehr- und Ausbildungsinhalte anzupassen. Die Koalition fördert ausdrücklich die Einstellung von Menschen mit Migrationshintergrund in die Polizei.

    Dokumentationsstelle für Menschenrechte, Grundrechte und Demokratie

    Es wird eine Informations- und Dokumentationsstelle für Menschenrechte, Grundrechte und Demokratie eingerichtet. Schwerpunktmäßige Aufgabe dieser Stelle ist die Dokumentation neonazistischer und anderer gegen die Grundsätze der Verfassung gerichteten Aktivitäten in Thüringen, die wissenschaftliche Erforschung von Inhalt, Wirkungsweise und Verbreitung neonazistischer, rassistischer, antisemitistischer, homophober und antiziganistischer Einstellungen sowie die Entwicklung geeigneter Gegenkonzepte.

    Die Dokumentations- und Forschungsstelle soll ihre Arbeit im Jahr 2016 aufnehmen.

    Stätte der Erinnerung und Mahnung

    Die Koalition plant, den Opfern des NSU-Terrors in Thüringen noch in dieser Legislaturperiode eine Stätte der Erinnerung und Mahnung zu errichten. Die Opfer der Sprengstoffanschläge und die Angehörigen der Ermordeten sollen in den Prozess der Erarbeitung einbezogen werden. Ein gesellschaftlich breit getragener und würdiger Gedenkort soll und wird eine notwendige Debatte über rassistische Einstellungen befördern.

    Opferschutz

    Zur individuellen ergänzenden Unterstützung von Opfern von Straftaten wird eine Opferhilfestiftung eingerichtet.

    Die Erfahrungen anderer Bundesländer mit der Einrichtung von Gewaltopferambulanzen sollen im Hinblick auf die regionale Struktur Thüringens ausgewertet und in Abstimmung mit Akteurinnen und Akteuren im Gesundheitswesen und den kommunalen Spitzenverbänden die Übertragung auf Thüringen geprüft werden.

    Wir setzen uns für ein bundeseinheitliches humanitäres Bleiberecht für Opfer rassistischer Gewalt ohne Aufenthaltsstatus bzw. mit einer Duldung ein und werden eine Umsetzung in eigener Landeskompetenz prüfen. Damit ist ein klares Signal an die Täter derartiger Angriffe sowie deren Umfeld verbunden: dass ihrer politischen Zielsetzung explizit entgegen getreten und ihr Ziel der Vertreibung vereitelt wird.

  • 12.2 Sicherheit und Polizei

     
    Polizeistrukturreform

    Die Parteien verfolgen gemeinsam das Ziel einer flächendeckend präsenten und bürgernahen Polizeistruktur. Die Polizeistrukturreform wird unter Einbeziehung der Struktur und Arbeitsweise des Landeskriminalamtes evaluiert. Für die Polizei soll unter Einbeziehung des Landeskriminalamts und der Polizeibildungseinrichtungen ein Qualitätsmanagement eingeführt und ein Personalentwicklungskonzept unter Einbeziehung der Gewerkschaften und Personalvertretungen entwickelt werden.

    Die Koalition verabredet dazu folgende Maßnahmen:

    • Der bei der Polizei vorgesehene Stellenabbaupfad wird für das Jahr 2015 zunächst ausgesetzt, um eine Überprüfung der Polizeistrukturreform vornehmen zu können,
    • im Rahmen der Überprüfung der Polizeistrukturreform wird insbesondere die Personalentwicklung und die Organisationsentwicklung für die Thüringer Polizei, die Ausgestaltung der rechtlichen und sachlichen Rahmenbedingungen für die Dienstausübung geprüft und bei Bedarf die Strukturreform weiterentwickelt,
    • der Stellenplan des Landeshaushaltes ist im Ergebnis der Überprüfung an die Organisations- und Dienstpostenpläne (ODP) anzupassen,
    • das Gesundheitsmanagement bei der Thüringer Polizei sowie die Ursachen, Voraussetzungen und Folgen der festgestellten Dienstunfähigkeit von Polizeibeamtinnen und -beamten werden überprüft,
    • der Beförderungsstau soll aufgelöst werden. Zu diesem Zweck soll auch die Einführung einer leistungsorientierten Regelbeförderung geprüft werden,
    • für die Dauer der Überprüfung der Polizeistrukturreform, während der der Stellenabbaupfad bei der Polizei ausgesetzt werden soll, wird ein Bedarf an jährlichen Neueinstellungen in Höhe der Größenordnung der letzten drei Jahre gesehen,
    • die Aus- und Fortbildung am Berufsbildungszentrum der Thüringer Polizei und an der Verwaltungsfachhochschule, Fachbereich Polizei, ist an einer gemeinsamen Einrichtung zusammenzufassen. Die Aus- und Fortbildung von Polizeibeamtinnen und -beamten im Bereich Neonazismus, insbesondere zu dessen Gewaltpotenzial, soll ebenso wie die Vermittlung interkultureller und sozialer Kompetenz entsprechend der Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses entsprechend verbessert werden,
    • eine weitere Privatisierung von hoheitlichen Aufgaben lehnen die drei Parteien ab, wollen jedoch gemeinsam mit Gewerkschaften und Personalräten Maßnahmen zur Entlastung der Thüringer Polizei identifizieren und einleiten.
    Bürgernahe und -freundliche Polizei

    Die Koalition sieht im vielfältigen Wirken der Thüringer Polizei im Rahmen ihrer Zuständigkeit und Verantwortung einen erheblichen Beitrag zur Gewährleistung der Sicherheit der Menschen in unserem Land. Wir sind besorgt über Berichte und Erfahrungen über zunehmende Gewalt gegenüber Einsatzkräften der Polizei, aber auch der Feuerwehr und des Rettungsdienstes. Wir werben ausdrücklich für eine Kultur des Respekts gegenüber Einsatzkräften, wie wir auch eine offene, bürgernahe und verhältnismäßige Amtsausübung durch die Einsatzkräfte unterstützen. Die dafür notwendigen Voraussetzungen in der Polizeistruktur, in der Ausstattung, bei den Dienstbedingungen und den rechtlichen Grundlagen werden wir schaffen.

    Die Koalition setzt sich für eine Führungskultur in der Polizei ein, deren Ziel es ist, Anregungen und Beschwerden von Polizeibeamtinnen und -beamten konstruktiv aufzunehmen. Wir beabsichtigen die Einrichtung einer Polizeivertrauensstelle, an die sich sowohl Beamtinnen und Beamte als auch Betroffene wenden können.

    Wir wollen das Thüringer Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Polizei (PAG) novellieren, um die Eingriffsbefugnisse auf das im Gefahrenabwehrrecht Notwendige und Anwendbare und damit verfassungsrechtlich unbedenkliche Maß zu reduzieren. In diesem Sinne sollen u.a.:

    • der Rechtsbegriff der „Gefahr“ hinreichend definiert werden,
    • die besonderen Mittel der Datenerhebung überarbeitet und alle Maßnahmen der heimlichen Infiltration eines informationstechnischen Systems, mittels derer die Nutzung des Systems überwacht und seine Speichermedien ausgelesen werden können, ausgeschlossen werden.
    • der Schutz des Kernbereichs privater Lebensführung und des Berufsgeheimnisses sichergestellt werden,
    • racial profiling“ gesetzlich ausgeschlossen und entsprechende befördernde Befugnisse gestrichen sowie zu diesem Zweck ein Sensibilisierungs- und Schulungsprogramm für Polizistinnen und Polizisten, um an Stereotypen orientierender Polizeipraxis vorzubeugen, etabliert werden.

    Auf den Erfahrungen anderer Bundesländer aufbauend, werden wir unter Beteiligung der Polizeigewerkschaften eine individualisierte anonymisierte, aber re-personalisierbare Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamtinnen und -beamte in geschlossenen Einheiten einführen und deren gesetzliche Verankerung prüfen.

    Die parlamentarische Kontrolle für Befugnisse, die im Gefahrenabwehrrecht nachrichtendienstlichen Charakter haben, soll ausgebaut werden.

    Die gemeinsamen Empfehlungen des Untersuchungsausschusses „Rechtsterrorismus und Behördenhandeln":

    • Pflichtprüfung in allen Fällen von Gewaltkriminalität, ob die Tatmotive aufgrund der Person des Opfers in einem rassistisch, antisemitisch, homophoben, antiziganistischen oder einem anderen politisch motivierten Hintergrund liegen könnten; zwingende nachvollziehbare Dokumentation der Prüfung,
    • Verbesserung der Erfassung und Einordnung rechtsextrem und rassistisch motivierter Straftaten durch die Polizei,
    • Verstärkung der Bemühungen, Menschen mit Migrationshintergrund für den Dienst in der Polizei zu gewinnen,
    • konsequente Verfolgung, Bekämpfung und Verhinderung rechtsextremer Aktivitäten und Straftaten

    werden wir durch geeignete Maßnahmen realisieren.

    Wir werden sicherstellen, dass die Dienststellen der Thüringer Polizei mit den Opferberatungsstellen, insbesondere der Beratungsstelle für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt ezra, eng zusammenarbeiten.

    Novellierung des Thüringer Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung vor Tiergefahren

    Die Koalition wird das „Thüringer Gesetz zum Schutz der Bevölkerung vor Tiergefahren“. evaluieren. Die Abschaffung der so genannten Rasseliste sowie die Widerlegbarkeit der aus der so genannten Rasseliste abgeleiteten Gefährlichkeit eines Hundes durch einen Wesenstest werden wir prüfen.

  • 12.3 Reform des Landesamtes für Verfassungsschutz

     

    Die Koalitionäre verständigen sich – im Bewusstsein der unterschiedlichen Positionen hinsichtlich der Notwendigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz (TLfV) – das Landesamt weiter grundlegend zu reformieren und dessen Tätigkeit klar an den Grundrechten und am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auszurichten.

    • Die parlamentarische und damit öffentliche Kontrolle der Tätigkeit des TLfV wird weiter ausgebaut,
    • die Koalitionäre sind sich einig, vor dem Hintergrund der spezifischen Erkenntnisse über die hoch problematischen Vorfälle in der Tätigkeit des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz, das bisherige System der V-Leute in Thüringen nicht fortzuführen, also zu beenden. Über Ausnahmen von dieser Regelung kann im begründeten Einzelfall zum Zweck der Terrorismusbekämpfung nur durch Zustimmung des für Inneres zuständigen Kabinettsmitgliedes und des Ministerpräsidenten abgewichen werden. In diesem Falle ist die Parlamentarische Kontrollkommission gemäß des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes zu unterrichten. Im Rahmen der gesetzlich vorgesehenen Evaluation des reformierten Verfassungsschutzgesetzes wird auch dieses Verfahren überprüft,
    • künftig sollen Personen nicht mehr allein aufgrund ihrer politischen, religiösen und / oder weltanschaulichen Auffassungen zum Gegenstand grundrechtseinschränkender Maßnahmen gemacht werden,
    • es werden umfangreiche gesetzliche Dokumentationspflichten eingeführt, und das an die Öffentlichkeit gerichtete Berichtswesen des Verfassungsschutzes wird einer Revision unterzogen. Sämtliche beim TLfV gespeicherten Personendaten werden auf ihre rechtliche Zulässigkeit der Erhebung, Speicherung und bislang nicht erfolgte Löschung überprüft. Vor einer Löschung rechtswidrig gespeicherter Daten werden die Betroffenen informiert,
    • bei sämtlichen Befugnissen ist der verfassungsrechtlich garantierte Schutz des Kernbereiches der individuellen Lebensgestaltung zu garantieren. In Grundrechte eingreifende Befugnisse werden einer stärkeren richterlichen Kontrolle unterworfen und die Informations- und Auskunftsrechte der Betroffenen gestärkt. Die Benachrichtigung Betroffener von nachrichtendienstlichen Maßnahmen wird auf alle durch die Maßnahmen gewonnenen Daten ausgeweitet,
    • bei einer sich ergebenden Zuständigkeit der Polizei (Gefahrenabwehr) oder der Staatsanwaltschaft (Strafaufklärung) ist eine eigene Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz in diesem Sachverhalt ausgeschlossen,
    • das Landesamt für Verfassungsschutz hat keinen Präventionsauftrag durch gesellschaftliche Information und Bildung,
    • die personelle und sachliche Ausstattung des TLfV sowie die Anforderungen an die Eignung der Bediensteten werden an die sich verändernde Aufgabenbeschreibung und -begrenzung angepasst,
    • eine künftige Landesregierung wird im Laufe der Legislaturperiode eine Expertenkommission berufen, die sich mit der Notwendigkeit und dem in einem demokratischen Verfassungsstaat möglichen Befugnissen einen nach innen gerichteten Geheimdienstes beschäftigen wird und dem Thüringer Landtag einen entsprechenden Vorschlag zur grundlegenden Neuausrichtung der Aufgaben des Schutzes der in der Verfassung garantierten Grundrechte erarbeiten wird.
  • 12.4 Rechtspolitik / Justiz

     

    Ein funktionierender Rechtsstaat braucht eine gut ausgestattete und starke Justiz. Für einen effektiven und zeitnahen Rechtsschutz müssen den Gerichten die erforderlichen personellen und sachlichen Ressourcen zur Verfügung stehen. Die Koalition steht für eine soziale Rechtspolitik, die den Menschen in Thüringen dient und die Bürgerrechte schützt. Wir setzen uns für eine bürgerfreundliche Justiz mit einem möglichst wohnortnahen Zugang der Bürgerinnen und Bürger zu den Gerichten ein.

    Justizgewährungsanspruch

    Die Koalition wird die erforderlichen organisatorischen, verwaltungsmäßigen und personalwirtschaftlichen Maßnahmen treffen, um eine zügige Abarbeitung der Verfahren besonders in der Sozialgerichtsbarkeit zu gewährleisten. Im Hinblick auf Artikel 6 EMRK wird in allen Gerichtsbereichen angestrebt, die Umsetzung des Justizgewährungsanspruchs sicherzustellen.

    Eigenverantwortlichkeit und Unabhängigkeit der Justiz stärken

    Die Koalition ist sich einig, die Unabhängigkeit der Gerichte und Staatsanwaltschaft zu stärken. Hierzu sollen neue Regelungen der Selbstverwaltung der Judikative geprüft werden.

    Wir wollen die Eigenverantwortlichkeit der Justiz durch die Ausweitung eigenverantwortlicher personal- und budgetrechtlicher sowie haushaltswirtschaftlicher Handlungsspielräume der Gerichte und Staatsanwaltschaften stärken. Eine unabhängige Justiz umfasst auch eine objektiv und konsequent ermittelnde Staatsanwaltschaft.

    Soziale Verantwortung der Justiz

    Der Zugang zur Justiz darf nicht vom Einkommen abhängen. Die Koalition wird sich daher für den Erhalt und dort wo erforderlich für Verbesserungen der Prozesskosten- und Beratungshilferegelungen einsetzen.

    Auf Bundesebene werden wir uns für erforderliche Durchführungsbestimmungen, die das Mediationsgesetz umsetzen und ergänzen sollen, einsetzen.

    Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs

    Der elektronische Rechtsverkehr soll bis zum Jahr 2020 flächendeckend eingeführt werden. Die technische Ausstattung der Gerichte und die Struktur der Datennetze im Land werden an den neuen Anforderungen ausgerichtet. Eine moderne Hard- und Softwareausstattung und einfach zu handhabende Kommunikationsmittel erhöhen die Gerichtszugangsmöglichkeiten für die Bürgerinnen und Bürger sowie für Unternehmen. Bei dem Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs ist den Sicherheits- und Datenschutzerfordernissen Rechnung zu tragen.

    Novellierung des Richter- und Staatsanwältegesetzes

    Die Mitbestimmung von Richtern und Staatsanwälten soll durch ein neues Richter- und Staatsanwältegesetz gestärkt werden und die Mitwirkungsmöglichkeiten der richterlichen und staatsanwaltschaftlichen Gremien erhöhen werden.

    Wir werden die Ruhestandsregelung die im Beamtenbereich gilt, auch für den Bereich der Richter und Staatsanwälte übernehmen.

    Personal in der Justiz

    Wir stimmen darin überein, dass angesichts der Altersstruktur in der Thüringer Justiz ein Personalentwicklungskonzept vorzulegen ist mit dem Ziel der Verjüngung des Personalkörpers. Aufgrund der besonderen Altersstruktur in der Thüringer Justiz wird eine notwendige Einstellungsreserve gebildet. Durch zusätzliche Einstellungen in allen Justizlaufbahnen werden die in den kommenden Jahren sprunghaft ansteigenden Altersabgänge zur Aufrechterhaltung des Dienstbetriebes kompensiert und die Arbeitsfähigkeit der Justiz in Thüringen gesichert; dies gilt insbesondere für den mittleren Dienst. Das vorhandene Stellenabbaukonzept der Landesregierung für den Bereich der Justiz ist bis 2016 auf die demografischen Herausforderungen zu überprüfen und anzupassen.

    Keine Privatisierung des Justizvollzugs

    Wir lehnen eine Privatisierung des Justizvollzugs ab. Dies ist eine hoheitliche Aufgabe, die in staatlicher Verantwortung durchzuführen ist. Wir stehen für einen modernen Strafvollzug und damit für eine angemessene Unterbringung der Gefangenen mit einer Betreuung und Arbeitsmöglichkeiten, die dem Resozialisierungsgedanken gerecht werden. Moderne Haftplätze bedeuten auch gute Arbeitsbedingungen für die Justizvollzugsbediensteten. Dies wird den Arbeitsplatz Justizvollzug ebenso attraktiv machen wie Fortbildung und Weiterqualifizierung, wobei wir großes Augenmerk auf den Ausbau der Kompetenzen im interkulturellen Bereich legen werden.

    Strafvollzug und Resozialisierung

    Mit dem Justizvollzugsgesetzbuch wurden die gesetzlichen Rahmenbedingungen für einen zeitgemäßen Justizvollzug geschaffen.

    Wir sind uns einig in der ressortübergreifenden Weiterentwicklung der Bedingungen für die Resozialisierung und Wiedereingliederung von Straffälligen sowie der Verhinderung weiterer Straftaten. Zu diesem Zweck sollen die Vorschläge für ein Resozialisierungsgesetz anderer Länder, insbesondere der Bericht der Brandenburger Expertenkommission, ausgewertet und Schlussfolgerungen für gesetzliche Regelungen gezogen werden.

    Der Behandlungsvollzug soll durch eine personelle Stärkung des Justizvollzugs und der sozialen, psychologischen und medizinischen Fachdienste weiter verbessert werden. Die vorhandenen psychologischen Fachkräfte sollen dazu stärker koordiniert und ein professionelles Übergangsmanagement im Thüringer Strafvollzug aufgebaut werden, das in enger Abstimmung mit den Stellen der Bewährungshilfe, der Führungsaufsicht und weiteren Resozialisierungsangeboten kooperiert.

    Die Koalition befürwortet eine stärkere Nutzung der bestehenden Sanktionsmöglichkeiten zur Vermeidung der Vollstreckung von Freiheitsstrafen.

    Die Bewährungs- und Straffälligenhilfe sowie Haftvermeidungsprojekte sollen in den Vordergrund gestellt und gestärkt werden; mit dem Landeshaushalt 2014 vorgenommene Mittelkürzungen in der Straffälligen- und Bewährungshilfe werden zurückgenommen.

    Der Bau der gemeinsamen Justizvollzugsanstalt der Freistaaten Thüringen und Sachsen als länderübergreifendes Pilotprojekt in Zwickau-Marienthal wird haushaltsmäßig sichergestellt. Ziel ist es, die gemeinsame Justizvollzugsanstalt bis Ende der Legislaturperiode fertig zu stellen und in Betrieb zu nehmen.

    Wir überprüfen die Abschaffung sämtlicher Schusswaffen im Thüringer Strafvollzug, in Abstimmung mit den Personalvertretungen. Wir werden, nachdem das Führen einer Waffe durch Bedienstete lediglich im Hinblick auf den Gefangenentransport sicherheitsrelevant ist, prüfen, ob dieser Bereich, dem Beispiel anderer Bundesländer folgend, auf die Polizei übertragen werden kann.

    Verstärkte Bekämpfung von Wirtschafts-, Umwelt- und Internetkriminalität

    Die Parteien werden zur besseren Bekämpfung der Wirtschafts- und Internetkriminalität die Schwerpunktstaatsanwaltschaft Mühlhausen weiter personell und technisch unterstützen.

    Zur effektiveren Bekämpfung der organisierten Kriminalität wird die Staatsanwaltschaft Gera weiter gestärkt. Gleichzeitig ist auf polizeilicher Ebene (LKA) durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass eine zeitnahe Auswertung von Datenträgern gewährleistet ist. Die dauerhafte Auslagerung von Auswertungsaufgaben an private Dienste (sogenanntes Outsourcing) sehen die Koalitionsparteien kritisch.

    Die Einführung einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Umweltkriminalität wird geprüft. Den Herausforderungen der Wirtschafts-, Umwelt und Internetkriminalität werden wir durch ein entsprechendes Fortbildungsangebot für Richterinnen, Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte begegnen.

    Die Parteien sind sich einig darin, zur Überführung von Steuerbetrügern auch weiterhin den staatlichen Ankauf von „Steuer-CDs“ zu unterstützen.

    Jugendstationen

    Wir werden das erfolgreiche Modell der Jugendstationen fortführen und gegebenenfalls ausweiten.

    Drogenpolitik

    Wir bekennen uns zu einer modernen, effektiven Sucht- und Drogenpolitik, die sich an der Lebenswirklichkeit ihrer Adressaten orientiert und auf Aufklärung, niederschwellige Angebote für Drogenkonsumenten und qualifizierte Hilfen für Suchtkranke setzt. Wir sind uns einig darin, den Handel mit illegalen Drogen konsequent zu unterbinden.

    Wir werden uns für die Entkriminalisierung des Cannabiskonsums einsetzen. Wir werden eine bundeseinheitliche Regelung im Umgang mit Drogenkonsumentinnen und -konsumenten anstreben. Bis diese Regelung gefunden ist, werden wir die „geringen Mengen“ zum Eigenverbrauch weicher Drogen im Sinne des § 31a BtMG im Freistaat Thüringen überprüfen.

    Investitionsprogramm zur Modernisierung der Gerichte und der Justizvollzugsanstalten

    Die Koalitionsparteien sind sich einig, dass ein Investitionsprogramm zum Erhalt der Bausubstanz und Nutzbarkeit der Gerichtsgebäude sowie Justizvollzugsanstalten aufgelegt wird.

    Das ehemalige Landgericht Weimar soll für eine Nutzung durch Justizbehörden saniert werden und die baulichen Sanierungsarbeiten in dieser Legislaturperiode beginnen.

    100 Jahre Weimarer Nationalversammlung (1919 bis 2019)

    Im Jahr 2019 wird der 100. Jahrestag des Zusammentritts der Weimarer Nationalversammlung in Weimar begangen. Die Koalitionspartner werden sicherstellen, dass sich der Freistaat angemessen an einer Würdigung dieses historischen verfassungsrechtlichen Jahrestages beteiligt, um die herausragende Bedeutung der damaligen Ereignisse in das Licht der Öffentlichkeit zu rücken.

    Umsetzung der Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses

    Wir sind uns darin einig, die Empfehlungen des Untersuchungsausschusses „Rechtsterrorismus und Behördenhandeln“ für den Bereich der Justiz in geeigneter Form umzusetzen, darunter:

    • die Einrichtung von Schwerpunktstaatsanwaltschaft(en) für Staatsschutzdelikte,
    • die Überprüfung unaufgeklärter Delikte und Straftaten auf Bezüge zu rechtsextremen Motiven;
    • die gesetzliche Verankerung menschenverachtender Tatmotive als besonderen Umstand bei der Strafzumessung in § 46 StGB,
    • eine Neudefinition fremdenfeindlicher Straftaten,
    • eine Pflichtüberprüfung der durch die Polizei vorgenommenen Einordnung des Deliktes durch den befassten Staatsanwalt und ggf. mit Gründen versehene Abgabe in das vom Staatsanwalt benannte Dezernat in der zuständigen Staatsanwaltschaft,
    • insbesondere bei Gewaltkriminalität, gemeingefährlichen Straftaten und Straftaten gegen die persönliche Ehre,
    • die Verbesserung und Intensivierung der Fortbildung von Richtern und Staatsanwälten im Bereich „rechtsextrem motivierter Straftaten“,
    • eine angemessene Behandlung und Berücksichtigung des Bereichs „rechtsextrem motivierter Straftaten und Tatmotive“ im Rahmen der Juristenausbildung in Studium und Referendariat,
    • die unbegrenzte Archivierung von Staatsschutzdelikten (Hauptstaatsarchiv).